GOMORRHA – Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha und Sodom, Sodom und Gomorrah. Zwei Städte aus dem Alten Testament stehen als Symbol für das höchste vorstellbare Maß an menschlicher Sündhaftigkeit. Nachdem die Städte nicht zur Umkehr bereit waren, wurden sie der Gerechtigkeit wegen von Gott mit einem Feuerregen vernichte. Allein der unschuldige Lot durfte die Stadt verlassen, seine Frau jedoch drehte sich um und erstarrte beim Anblick des Gerichts zur Salzsäule. In Neapel und Umgebung braucht es keine göttliche Intervention: das machen die Menschen ganz alleine.

Seit dem 19.03.2009 ist der vielfach preisgekrönte Spielfilm GOMORRHA erhältlich. PROKINO veröffentlicht den Mafia-Thriller als Einzel-DVD sowie in einer Film- Buch-Edition mit über 110 Minuten Extras und der Taschenbuchausgabe der Literaturvorlage. Der auf Tatsachen basierende Film GOMORRHA von Regisseur Matteo Garrone entstand an Original-Schauplätzen in Neapel und Umgebung in enger Zusammenarbeit zwischen Roberto Saviano, dem Autor des Romans. Saviano steht seit Veröffentlichung seines Millionenbestsellers ganz oben auf Todesliste der Camorra. Er lebt seit nunmehr zwei Jahren unter Polizeischutz an einem geheimen Ort.

GOMORRHA führt ins Reich der süditalienischen Mafia, der Camorra. Der Film zeigt nicht deren Geschichte, wohl aber dessen Gegenwart. Anders als Hollywood-Varianten wie „Der Pate“ oder „ Good Fellas“ zeigt Regisseur Garrone im Gegensatz zu Coppola und Scorcese im dokumentarischen Stil schonungslos das kriminelle Alltagsleben in der neapolitanischen Suburbia. Nicht der große Boss, der große Fisch steht im Fokus, sondern die kleinen Haie, Sardinen und Kaulquappen: Der alten Geldbote, welcher der Gewalt überdrüssig zu werden scheint. Der Schneider, der im harten wirtschaftlichen Wettkampf – auch gegen asiatische Konkurrenten – auf eine Finanzhilfe seitens der Organisation angewiesen ist. Der Politiker, der Steinrüche der Region als Giftmülldeponie für norditalienische und südfranzösische Gemeinden anbietet. Zwei Halbstarke, die in jugendlicher Überschwänglichkeit ihr eigenes Geschäft aufbauen wollen. Und der kleine Junge, der unbedingt dazugehören und nicht mehr nur Laufjunge sein will.

Die Gewalt ist allgegenwärtig. Kein heroischer Kampf. Kein Pathos. Keine Ideale. Kein Showdown, in dem der Gute schwer verwundet nach fünfminütigem Feuergefecht den Bösen noch beseitigen kann. Ein Schuss, ein Treffer, tot, das war es. Während sich die Camorristi in blutigen Auseinandersetzungen der Klans gegenseitig dezimieren und die Neutralitätsversuche einiger Mitmenschen unterdrücken, bleibt die Staatsmacht mehr oder minder hilflos und tritt im ganzen Film auch nur einmal resolut auf; natürlich mit mäßigem Erfolg. Ansonsten patrouillieren die Carabinieri ungewollt am Geschehen vorbei.

Generell wird deutlich, dass die Camorra, diese ehrenwerte Gesellschaft, kein richtiges Oberhaupt hat, was man einfach medusenhaft abschlagen könnte, um der Bedrohung ein Ende zu setzen. Die Mafia ist keine hierarchische Organisation, sondern eine grundlegende Struktur. Auf der einen Seite ist sie ein Krake, der Neapel und ganz Kampanien im festen Würgegriff hat, auf der anderen ein treuer Hund, der beste Freund des Menschen.

Die ganze Perversität zeigt ein Ausschnitt aus dem Bonus-Material. Ein wütender Mafia-Boss rastet wegen einer Drehbuchänderung vor der Kamera aus und beginnt, über das Töten zu philosophieren. Von 1979 bis 2005 gab es 3667 Opfer der Camorra. In Neapel dürfte die Diskussion über die Gewaltverherrlichung in Videospielen mit einem süffisanten Lächeln bedacht werden. Aus deutscher Perspektive kann man über die FSK 16 diskutieren. Das hier ist kein Spiel, sondern brutale Realität.