Ich weiß nicht, ob ich der einzige bin, dem das so geht, aber wenn ich den Begriff „Kanibalenfamilie“ höre, muss ich sofort an irgendwelche schwarzafrikanische Dschungelbewohner oder Insel-Urmenschen denken, die um einen Kessel auf offener Feuerstelle tanzen und mit kleinen Spießen in den aus dem Topf schauenden Inhalt pieksen, um zu überprüfen, ob das Fleisch bereits gar ist. WIR SIND WAS WIR SIND geht aber einen völlig anderen Weg.
Als der Familienvater auf einem Bürgersteig tot zusammenbricht und entsprechend nicht mehr nach Hause zurückkehrt, bringt dieses nicht nur Trauer über die Familie, sondern sorgt für ein essentiell wichtiges Problem: wie in vielen anderen Familien auch ist er derjenige gewesen, der für das Essen zu sorgen hatte. Diese Aufgabe muss nun durch jemand anderen erledigt werden. Seine Ehefrau, die Tochter und die beiden Jungen sitzen zu Hause und müssen dieses Problem lösen, und das erscheint gar nicht so einfach, denn die Familie ist eine Kannibalenfamilie, die sich auf ein bestimmtes Ritual vorbereitet, welches in kurzer Zeit ein neues Hauptgericht erfordert.
Der älteste Sohn sieht sich zwar in der Pflicht, geht dieser aber nur widerwillig nach, wohingegen seindeutlich aggressiverer jüngerer Bruder nur zu gerne loslegen wollen würde.
Zunächst versuchen sie, in den Slums ein Straßenkind zu kidnappen, als dies misslingt, gehen sie weiter in Richtung Straßenstrich. Während die Mutter sich selbst hingibt, um einen Taxifahrer nach Hause zu locken, versucht sich der ältere Sohn in einer Diskothek für Homosexuelle. Doch die Versuche, Nahrung ins Haus zu bekommen, sind zu auffällig und führen letztendlich die Polizei auf ihre Fährte…
WIR SIND WAS WIR SIND ist eher ein sozialkritisches Drama als ein Horrorfilm. Sowohl der Kannibalismusfaktor als auch die Horror- bzw. Splattereffekte sind eher spärlich gesät. Wenn es dann aber mal etwas zu sehen gibt, dann ist das relativ heftig.
Der Film stellt das Regiedebüt des Mexikaners Jorge Michel Grau dar. In dieser Hinsicht kann er sich auch auf die Schulter klopfen, denn dramaturgisch gibt es hier kaum etwas auszusetzen. Grau holt alles aus der Geschichte heraus. Dass diese sich erst nach und nach entwickelt, da man als Zuschauer erst im Laufe der Zeit erfährt, worum es eigentlich geht, liegt nicht in seiner Hand, und auch nicht, dass dadurch begründet an ein bis zwei Stellen die Handlung ein wenig ins Stocken gerät. Was denn nun das genau Ritual ist, welches die Familie abzuhalten gedenkt, ist nicht ganz klar, wohl aber der Gedankengang, dass ein Familienmitglied am Schluss überlebt und die Tradition fortzusetzen gedenkt.
Wer mal den etwas anderen Kannibalenfilm sehen will (bei dem im übrigen nicht ein einziges mal menschliches Fleisch gegessen wird), der ist hier gut aufgehoben. Mit den üblichen Slasher-Klischees hat der Streifen ansonsten aber nur recht wenig zu tun, denn hier geht es eher um den sozialkritischen Aspekt und die innerfamiliären Spannungen einer psychisch kranken Sippe.