Spec Ops – The Line (Xbox 360)

Heftig! Es war ja im Vorfeld angekündigt worden, dass SPEC OPS: THE LINE eine etwas andere Shooter-Erfahrung werden soll, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Natürlich hatte man im Vorfeld gelesen, dass es eigentlich ein Antikriegs-Shooter ist, dass man viele Vergleiche zu Apocalypse Now ziehen darf und ähnliches, aber im Endeffekt konnte einen nichts darauf vorbereiten, was man bei diesem Spiel empfindet, und selten hat man sich als Spieler dermaßen häufig dabei ertappt gefühlt, den Sinn hinter anderen Shooterspielen bzw. den Unterhaltungsfaktor derselben zu hinterfragen.
Fangen wir aber mit der Technik an. 3rd-Person-Shooter-typisch seht ihr das Geschehen aus der Verfolgerperspektive, habt die Möglichkeit, euch hinter Hindernissen in Deckung zu begeben und von dort aus entweder aufzutauchen und gezielt den Feind unter Beschuss zu nehmen, oder aber blind aus der Deckung zu feuern. Ihr könnt jederzeit zwei Hauptwaffen mit euch herumtragen, zudem gibt es mehrere Granatenversionen. Auf Knopfdruck könnt ihr euren zwei Teamkollegen Primärziele vorgeben, auf die sie feuern sollen, bzw. könnt ihnen befehlen, mittels Blendgranaten das Vorrücken oder den Rückzug zu decken.
An manchen Stellen habt ihr die Möglichkeit, mit der Umgebung zu interagieren, so könnt ihr beispielsweise manche Scheiben zerschießen, hinter denen sich Wüstensand aufgetürmt hat, der sich entsprechend auf alles, was darunter steht, anschließend schlagartig ergießen wird, sobald die Scheibe nachgibt. Das kann sicherlich sehr nützlich sein, sollten sich mehrere Feinde dummerweise genau dort aufhalten. Die restliche Steuerung entspricht Genre-Standard und stellt euch nicht vor irgendwelche Rätsel oder schwer händelbare Aufgaben.
Grafisch ist SPEC OPS: THE LINE im oberen Drittel anzusiedeln, den Sprung in die Top 3 schafft es aber nicht. Gleiches gilt, trotz sehr guter Synchronisation, auch für den Sound, der einfach noch ein wenig direktionaler und stellenweise auch wuchtiger hätte sein können.
Was dieses Spiel aber so außergewöhnlich macht, ist die Story an sich, das Verhalten der Charaktere, die Mission. Denn entgegen anderen Spielen, in denen der Spielercharakter sich eventuell mal in einer geskripteten Sequenz die Frage stellt, ob das, was er da tut, überhaupt richtig ist, ist dies eher Hauptbestandteil der Story. Doch das ist nicht alles. Auch die Teammitglieder zweifeln ganz offen die Entscheidungen an, die ihr im Lauf des Spiels zu treffen habt, und damit immer noch nicht genug: das wirklich außergewöhnliche ist die Tatsache, dass auch ihr als Spieler früher oder später an den Punkt kommt, in dem ihr bezweifelt, ob das, was ihr da tut, wirklich richtig ist.
Worum es eigentlich geht? Okay, ein kurzer Einblick: Dubai ist zerstört. Ein Wüstensturm hat die Stadt, die wie keine andere vor Reichtum protzt, dem Erdboden gleich gemacht. Ein Bataillon der U.S. Army soll bei der Evakuierung Hilfestellung leisten, doch irgendwann ist von der Einheit nichts mehr zu hören. Lediglich ein Funksignal, das um Hilfe ruft, kommt noch durch. Ein Team der Delta Force, bestehend aus drei Spezialisten, wird in die Stadt geschickt, um das Schicksal der Soldaten aufzuklären. Ihr seid Captain Walker, der das Kommando leitet. Doch niemand hat euch auf das vorbereitet, was euch in Dubai erwartet, und bald schon werden eure moralischen Grundwerte komplett neu geordnet, und ihr müsst für eure eigene Sicherheit Entscheidungen treffen, die euch nicht passen werden. Wer hält in Dubai die Fäden in der Hand, und wer ist es, der die überlebende Zivilbevölkerung dermaßen terrorisiert? Alles, was ihr tun könnt, ist, der Spur zu folgen, die euch vom Funksignal weiterführt…
Ich sag es erneut: heftig! Zart besaitet sollte man nicht sein, wenn man sich auf den Horrortrip nach Dubai einlassen will. Hier haben wir es nicht mit der typischen „Gut gegen Böse“-Situation zu tun, sondern ab einem gewissen Zeitpunkt verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse, und um eure Mission zu erfüllen, müsst ihr auch mal unangenehme Dinge tun, die euch zusätzlich zu den Kriegsgräueln, denen ihr begegnen werdet, belasten werden. Diese Entscheidungen führen euch im Endeffekt zu vier unterschiedlichen Enden, die allesamt sehenswert sind, und die auch allesamt in gewisser Weise logisch sind. Auch unterwegs müsst ihr an der einen oder anderen Stelle Entscheidungen treffen, die den weiteren Verlauf der Geschichte aber nicht direkt beeinflussen.
Einen Multiplayer-Part gibt es selbstverständlich auch. Hier spielt ihr die typischen Multiplayer-Spielmodi in einem ebenfalls schon fast typischen Klassensystem. Nette Beigabe, aber mehr auch nicht. Hier gibt es klar bessere Spiele, die empfehlenswerter sind.
SPEC OPS: THE LINE ist eine absolute Empfehlung, denn hier bekommt ihr mal eine andere Geschichte aufgetischt als das mittlerweile schon fast übersättigte Terroristen-Szenario (in 2-3 Variationen), das als Ersatz für die ausgelutschten Zweiter Weltkriegs-Geschichten herhalten muss. Und wenn ihr zwischendurch mal den Controller weglegt, weil ihr keine Lust mehr habt, virtuell Menschen zu töten oder in Dubai Entscheidungen zu treffen, die weitere Katastrophen nach sich ziehen könnten, dann beweist das nur zwei Dinge: erstens, dass das Spiel wirklich gut gelungen ist, wenn es euch soweit beeinflussen kann, zweitens, dass ihr moralisch noch nicht so abgestumpft seid, wie die allgemeine Presse nach irgendwelchen Amokläufen oder ähnlichen Taten den durchschnittlichen Videospieler gerne darstellen will.