Dungeon Crawl Classics – Reichtum und Ruhm durch Schwert und Magie (System Matters Verlag / Goodman Games)

„Du bist kein Held. Du bist ein Abenteurer: ein Plünderer, ein Langfinger, ein Heidentöter, ein verschwiegener Hexer, der lang vergessene Geheimnisse hütet.
Du trachtest nach Reichtum und Ruhm, gewinnst sie mit Schwert und Magie, während du im Blut und Schmutz der Schwachen, der Lichtscheuen, der Dämonen und der Bezwungenen watest.
Da unten, in der Tiefe, warten Reichtümer auf dich. Und sie sollen dir gehören…

Dungeon Crawl Classics ist ein vollständiges FantasyRollenspiel in einem Buch. Inspiriert von Anhang N!“

von Joseph Goodman
Deutsche Ausgabe:
Redaktion: Andreas Melhorn & Daniel Neugebauer
Layout: Bettina & Christian Hanisch

484 Seiten Hardcover

Fazit: Es ist immer der erste Eindruck, der zählt, und alles in allem mag euch die Größe des Regelwerks zunächst überwältigen, ihr werdet aber schnell feststellen, dass die eigentlichen Regeln total einfach sind und vieles hier einfach nur mannigfaltige und vielseitige (Achtung, Wortwitz) Tabellensammlungen sind, die so ziemlich jede Eventualität der Möglichkeiten zu erschlagen scheinen. Gefühlt gibt es im Regelbuch nichts, wofür es nicht auch eine Tabelle gibt.

Dungeon Crawl Classic unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den Pen & Paper Rollenspielen, die ich bislang gespielt und getestet habe. Der Titel ist schlichtweg Programm: dies ist ein klassischer Dungeon Crawler. Und als solcher ist es zunächst gar nicht beabsichtigt, dass ihr eine besondere Bindung zu eurem Charakter herstellt. Wo ihr euch „normalerweise“ (wer legt eigentlich fest, was normal oder Standard ist?!?) ein Charakterkonzept überlegt, das ihr spielen wollt, wird hier vollständig darauf verzichtet. Vielmehr würfeln die Spieler*innen gleich mehrere Charaktere nach reinem Zufallsprinzip aus, indem nach strenger Einhaltung der Reihenfolge die 6 Attribute mittels 3W6 ausgewürfelt werden. Kein Austauschen, kein Wegstreichen der schlechtesten Ergebnisse, keine Boni… Was ihr hier würfelt, ist euer Charakter, zumindest einer von mehreren…
Denn das, was hierbei herauskommt, können später mal tapfere Held*innen werden, oder aber auch nur als Drachenfutter dienen. Alle Charaktere starten auf Level 0, ohne Klasse! Stattdessen erhaltet ihr (ebenfalls über Zufallswurf) einen Beruf, der bestimmt, mit welcher Ausgangsausrüstung ihr startet und in welchen Fertigkeiten ihr ggf. geübt seid. Erst mit Erreichen der Stufe 1 könnt ihr dann aus den Klassen Dieb, Kleriker, Krieger, Zauberkundiger, Elf, Halbling oder Zwerg wählen.
Um diese zu erreichen, wird ein erstes Abenteuer gespielt, bei dem „die Spreu vom Weizen getrennt wird“. Der Charaktertrichter, wie er im Spiel genannt wird, dezimiert eure anfänglichen Charaktere und legt offen, welche Figuren ggf. eine Überlebenschance haben, und diese bekommen dann auch entsprechend eine Klasse…
Ihr findet das schon ungewöhnlich? Dann will ich euch jetzt in das Würfelsystem von Dungeon Crawl Classic einführen.
Grundsätzlich gilt der W20 als der Würfel eurer Wahl, wenn es um Fertigkeitsproben geht, in denen ihr geübt seid. Das Spielsystem zeigt hier aber durch verschiedene Modifikationen einen sehr interessanten Ansatz, wie man die Wahrscheinlichkeiten abseits eines simplen „+2“ oder „-4“ verändert, nämlich die Würfelkette. Sollte ein Wurf aufgrund von äußeren Umständen oder durch die Attribute und Fertigkeiten des Charakters vereinfacht oder erschwert werden, kann die Spielleitung einen Wurf mit „verbessertem Würfel“ oder „verschlechtertem Würfel“ einfordern. Hierfür benötigt ihr die Würfelkette. Ausgehend vom W20 könnte ein einfach verbesserter Wurf mit einem W24 geschehen, ein doppelt verbesserter Wurf sogar mit einem W30. Umgekehrt erfolgen verschlechterte Würfe mit einem W16 (W14, W12, W10, W8, W7, W6, W5, W4, W3). Übertrefft ihr mit eurem Wurf den von der Spielleitung festgelegten Schwierigkeitsgrad (SG5 ist eher einfach, SG10 ist eine Aufgabe für geübte Charaktere, SG15 sind schon eine hohe Herausforderung, SG20 sind absolut waghalsige, heroische Taten), so habt ihr einen Erfolg erzielt.

Auf ähnliche Art und Weise funktionieren auch die vergleichenden Proben und der Kampf. Hier wird zum Beispiel, wenn ihr über zwei Angriffsaktionen verfügt, der erste Angriff mit dem W20 gewürfelt, der zweite schon nur noch mit dem W16, und das Ergebnis wird dann mit der Rüstungsklasse des Gegners verglichen. Bei mindestens gleichem Wert trefft ihr, Ausnahme: eine 20 trifft automatisch, eine 1 ist automatisch ein Patzer…
Das Kampfsystem interessiert euch weniger als vielmehr das Magiesystem? Dungeon Crawl Classic hat hier ebenfalls einen sehr „Oldschool“-lastigen Ansatz, der mich am ehesten an alte Sindbad-Filme erinnert, wo der böse Zauberer zwar mächtige Sprüche auf Lager hat, diese aber jedes mal mit seinem eigenen Blut bezahlen muss und immer stärker dem Verfall anheim fällt, weswegen er zuletzt auch nach dem Quell des ewigen Lebens trachtet.
Und genauso verhält es sich auch hier mit der Magie, und ich zitiere hiermit leicht aus dem Zusammenhang gerissen: „Daher gibt es keine niedere Magie, wie etwa einen Zauber, mit dem man einfach einen Korridor ausleuchtet. Benutze eine Fackel, du Narr- das ist viel sicherer!“
Bevor ihr überhaupt in den Genuss kommt, euch die Zauber im Einzelnen anzuschauen, gibt es zunächst einmal 21 Seiten, was alles schief laufen und euch schaden kann zu lesen. Wer danach nicht eingeschüchtert ist, überhaupt darüber nachzudenken, einen Zauberer zu spielen oder als solcher Sprüche unbedacht einzusetzen, dem ist nicht zu helfen und wir sind uns sicher, dass hier der Heldentrichter seine Arbeit tun wird…
Zu jedem Zauberspruch gibt es eine Ergebnistabelle, was genau bei welchem Wurfergebnis passiert, von kritischen Patzern über minimale Effekte bis hin zu übermäßig durchschlagkräftigem Ergebnis.
Ähnlich verhält es sich mit den Kleriker-Zaubern, nur dass es hier keine Patzer gibt. Entweder, man ist in der Lage, die göttliche Gunst anzurufen, oder aber man wird nicht erhört.
Fast schon aberwitzig mag es da erscheinen, dass sich ein Großteil der Regeln für die Spielleitung ebenfalls damit auseinandersetzen, was für fürchterliche Dinge magiebegabten Spieler*innen passieren können, wenn sie einen Patron anrufen.
Aber es gibt auch ganz schwache Silberstreifen am Horizont, wie zum Beispiel das Kapitel über magische Gegenstände, die den Spielenden zumindest einen Hauch von Hoffnung vermitteln bei einem sonst so unbarmherzigen Regelsystem.
Der Regelbereich wird abgerundet mit einer Übersicht der anzutreffenden Monster. 56 Seiten mit Abscheulichkeiten, wilden Tieren oder auch nur feindlich gesinnten Menschen, die der Abenteuergruppe das Leben schwer machen wollen. Auch hier wird das Bild geprägt durch diverse Zufallslisten für kritische Treffer, Sondereffekte etc. Dungeon Crawl Classic will scheinbar nichts unbedacht lassen und überlässt, sofern man wirklich alles auswürfelt, nichts dem Entscheidungsbereich der Spielleitung.
Zum Abschluss gibt es noch zwei kurze Abenteuer, eines für die Stufe 0-1 (als Trichterabenteuer), eines für die Stufe 2. Auch hier gilt: mit diversen Tabellen versehen gibt es keine Fragestellungen, die der Spielleitung offen bleiben, alles kann ausgewürfelt werden und man braucht hinterher keine Rechtfertigungen für Total Party Kills oder ähnliches, denn man hat ja nur fair nach Regeln gewürfelt…

Habe ich schon erwähnt, dass hier viel gewürfelt wird und es jede Menge Tabellen gibt? Gerade das macht Dungeon Crawl Classic zu einem „Classic“, denn frühere Rollenspiel-Regelwerke waren versessen auf Tabellen. Die Autoren geben zwar deutlich zu verstehen, dass sie empfehlen, diese strikten Handlungsleitfäden, gerade in Bezug auf die Charaktererschaffung, einzuhalten, aber es liegt natürlich auch nahe, dass man als Spielgruppe durchaus berechtigt ist, auf Basis der Regeln bestimmte Hausregeln aufzustellen und somit zum Beispiel direkt bei der Charaktererschaffung auf bestimmte Dinge zu verzichten oder bestimmte Bereiche zu „vereinfachen“, sei es, dass man sehr niedrige Würfelergebnisse von der Liste streicht, sei es, dass man den Spielenden die Entscheidung überlässt, welches Würfelergebnis für welches Attribut gilt.
Und wenn man an dieser Stelle schon Einschränkungen gemacht hat, so kann man sich ggf. auch überlegen, ob man bestimmte Negativeffekte (trotz halbwegs passabler Würfelergebnisse) einfach streicht oder anderweitig ersetzt… Und plötzlich hat man ein komplett anderes Regelwerk, nach dem man spielt.
Wer aber beschließt, Dungeon Crawl Classic streng nach den Regeln zu spielen, der sollte keine Verlustängste kennen, und zumindest anfänglich besteht auch noch keine richtige Bindung zu seinen Charakteren. Diese muss sich erst bilden, wenn sie durch den Heldentrichter gekommen sind und sich tatsächlich als durchsetzungsfähig erwiesen haben. Wem das Charakter-Rollenspiel von der ersten Sekunde an wichtig ist, wer sich für seine Spielfigur eine tiefgreifende Hintergrundstory erdenken will, bevor es ins Abenteuer geht, ist hier vielleicht nicht ganz richtig aufgehoben. In erster Linie ist das Spiel ein Dungeon Crawl, und nicht ein Rollenspiel mit Dungeon-Elementen. Wer bislang andere Rollenspiele gespielt hat, muss sich hier ganz schön weit aus der eigenen Komfort-Zone bewegen, denn es ist eine Sache, einen Charakter spielen zu wollen, der körperlich eher untauglich ist und dafür aber als Magier ganz gut was auf die Reihe bekommt, eine ganz andere Sache ist es, wenn ich mehrere Charaktere auswürfele, und der einzige, der übrig bleibt, ist besagter „Schwächling“, der nur als Magier taugt, dabei wollte ich eigentlich gar keinen magiebegabten Charakter spielen…
Um nochmal auf den Klappentext zurück zu kommen: „Du bist kein Held. Du bist ein Abenteurer“ fasst es gut zusammen: die Charaktergenerierung ist keine Held*innenschmiede, sondern ein Zufalls-Ansammlung von normalen Bürgern, die ihr großes Glück in der Schatzsuche und Monsterjagd zu finden hoffen… Aber viele davon ereilt lediglich der Tod! Viel Spaß bei diesem wieder einmal völlig anderem Ansatz für ein Pen-and-Paper-Rollenspiel! Wichtiger Warnhinweis: Aufgrund des Gewichts dieses Wälzers empfehlen wir schlichtweg einen Schreibtisch oder ein Schreibpult. Lest dieses Buch keinesfalls als Gute-Nacht-Lektüre, denn sonst ereilt euch ebenfalls das Schicksal des Heldentrichters und ihr erwacht am nächsten Morgen nicht mehr, weil euch das Buch erschlagen hat!