The Witcher – Rollenspiel in der dunklen, gefährlichen Welt von The Witcher (Talsorian Games / Truant Spiele)

„Die Welt braucht keinen Helden… Sie braucht einen Profi!
Mitten im 3. Nordischen Krieg durchkämmt Geralt von Riva, der weiße Wolf, den Kontinent auf den Spuren seiner verlorenen Liebe!
Aber das ist nicht die einzige Geschichte. Eine Million weiterer Geschichten spielen auf dem riesigen Kontinent und ihr befindet euch mitten in einer!
Mit dem Witcher-Tischrollenspiel könnt ihr eure eigenen Abenteuer in der großen Welt von The Witcher schaffen!
Als Spieler kannst du lebenden Legenden begegnen und die Politik des Kontinents mitgestalten! Kämpfe im brutalen und schrecklichen dritten Nilfgaardischen Krieg. Spiele deine eigenen Abenteuer.
Das The Witcher-Rollenspiel präsentiert:
– 9 einzigartige Charakterklassen: jede mit einem speziellen Fertigkeitsbaum für ein individuelles Aufsteigen!
– Ein Bestiarum der bösartigsten Monster: Jedes wurde den The Witcher-Romanen und Videospielen entnommen und für eine einzigartige Herausforderung geschaffen!
– Zahlreiche Zauber und Anrufungen: Integriert in ein magisches System, das die chaotische und gefährliche Natur der Magie von The Witcher beinhaltet!
– Ein tödliches Wundensystem: Entwickelt, um euch die Spannung eines Kampfes in The Witcher zu vermitteln!“

Autoren: Cody & Lisa Pondsmith
Redaktion: Frank Stewart, J Gray

Deutsche Ausgabe
Herausgeber: Mario Truant
Übersetzung: Jan Enseling
Lektorat: Daniel Simon Richter, Mario Truant
Layout: Fat Auberon

335 Seiten

Fazit: Geralt von Riva hat vermutlich zunächst im großen Stil durch die hervorragende Videospielreihe auf sich aufmerksam gemacht, aber eigentlich waren natürlich die Romane eher da. Zuletzt hat sich Netflix eine ebenfalls durchaus gelungene Serie gesichert, die zum „Game Of Thrones“-Blues keinen günstigeren Zeitpunkt hätte nutzen können. THE WITCHER ist also fast schon so gesellschaftstauglich geworden wie „Der Herr der Ringe“, und wir begrüßen es sehr, dass Fantasy derzeit hoch im Kurs der Massen steht, denn gerade jetzt, in Zeiten von Corona, erfährt dadurch auch die Pen-and Paper-Rollenspielszene ungeahnte Höhenflüge. Und das System von THE WITCHER ist richtig, richtig gut. Aber seid gewarnt: dieses System ist tödlich, und damit in erster Linie nicht unbedingt direkt für Anfänger geeignet, noch für Spieler, die eine enorm starke Bindung an ihren Charakter zu haben gewohnt sind.

Es ist sicherlich hilfreich, die Bücher gelesen zu haben oder die Videospiele gespielt zu haben oder halt die Serie gesehen zu haben, um sich in der Welt von THE WITCHER zurecht zu finden. Alleine schon die Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit und fast schon Anbetung der Hexer auf der einen Seite, dem Argwohn und Misstrauen ihnen gegenüber auf der anderen Seite ist schwer zu verstehen, wenn man nicht den geschichtlichen Hintergrund dazu kennt. Solltet ihr aber komplett „unbeleckt“ auf das Thema zukommen, so kann man beruhigt sein: Hier wird ausreichend über die Vorgeschichte berichtet, sodass ihr euch recht schnell einfinden könnt.

Überhaupt ist das Regelwerk ziemlich übersichtlich aufgemacht: mit einer mehrseitigen Einführung und einem genaueren Blick auf die jüngste Geschichte startend, wird danach noch einmal eine Übersicht über die „Heldencharaktere“ der Welt vermittelt, bevor ihr euch daran macht, euren eigenen Spielercharakter zu gestalten. Unterschieden wird hier zunächst in Menschen, Zwerge, Elfen, Hexer und Magier, wenn es um die Völker geht. Danach wird euer bisheriger Lebenspfad mittels Würfelwürfe durchleuchtet, inkl. besonderer Ereignisse, Herkunft, Anzahl der Geschwister etc. Dies empfinde ich persönlich immer als „unglückliche“ Lösung, denn normalerweise will ich vielmehr selbst bestimmen, was für einen Charakter ich spiele und mit welcher Motivation derselbe ins Abenteuer zieht. Da irritieren mich festgelegte Würfelergebnisse mehr, als dass sie mir helfen. Aber man kann hier sicherlich mit dem Spielleiter verhandeln, dass man lieber eine Wahlvergangenheit hat, die plausibel ist.

Natürlich hat euer Charakter auch einen Beruf erlernt (Arzt, Barde, Händler, Handwerker, Hexer, Magier, Priester, Verbrecher oder Waffenknecht). Ein klassisches Eigenschaftensystem (Intelligenz, Reflexe, Geschicklichkeit, Kraft, Schnelligkeit, Empathie, Handwerk, Willenskraft und Glück) wird im Spiel geschickt gepaart mit einem sehr individuell gestaltbaren Fertigkeitensystem und einem Fertigkeitenbaum, bei dem man sich sehr gründlich überlegen sollte, in welche Richtung man seinen Charakter entwickelt, um keine Möglichkeiten zu verschwenden.
Ebenfalls unglaublich detailverliebt zeigt sich das Spiel in Bezug auf die Ausrüstung, also Waffen, Rüstungen und sonstige Gegenstände und Zutaten für alchimistische Zwecke.
Magie, Priesteranrufungen, Hexenrituale, Herstellung von Gegenständen und Tränken, all das sind Kernelemente des Spiels, die im Regelwerk sehr genau dargestellt werden, und mit etwa 50 Seiten macht dies immerhin knapp ein Sechstel des gesamten Buches aus. Hierbei wird sehr schnell klar, dass (gerade in Hinblick auf die alchimistischen Tätigkeitsmöglichkeiten der Charaktere) das Spielsystem sich auch viel Zeit einräumt für die Phasen „zwischen den Abenteuern“, frei nach dem Motto „gute Vorbereitung ist schon ein halb gewonnener Kampf“!

Und damit sind wir auch schon bei einem der Kernelemente von THE WITCHER: das Kampfsystem ist einfach nur eine Augenweide! Hier geht es nicht um die heroischen Taten einer einzelnen Heldengruppe, wie man das aus vielen Rollenspielsystemen kennt. Wenn sich die Heldengruppe hier in der Unterzahl vorfindet, ist sie ganz schnell Geschichte. Jeder kleinste Fehler kann in THE WITCHER schwerwiegende Folgen für den Charakter haben, und eine simple Selbstüberschätzung des Spielers gepaart mit ein wenig Würfelglück des Spielleiters kann binnen Sekunden dazu führen, dass der Spielercharakter verdutzt auf den Boden schaut, wo der Arm liegt, der eben noch am Körper befestigt war. Das Kampfsystem erfordert zwar eine Menge Würfelwürfe, hat man sich aber erst einmal daran gewöhnt, kann dies relativ schnell vonstatten gehen, da die Würfe nach einem festen Prinzip ablaufen und man somit, wenn man Würfel unterscheiden kann und bestimmt, mit einem Wurf bereits eine Menge abklären kann: Trefferzone, Schaden, Ergebnis einer möglichen kritischen Wunde… Im Kampf glänzt THE WITCHER enorm, und gerade Encounter mit den Monstern der Welt stellen ein absolutes Highlight dar. Wer hier nicht richtig vorbereitet ist, der kann sich gedanklich schon einmal darauf gefasst machen, einen neuen Charakter zu erstellen. THE WITCHER ist gnadenlos, und nicht umsonst terrorisieren Monster ganze Landstriche. Wenn es so einfach wäre, ein Monster zu besiegen, gäbe es gar keinen Bedarf an Hexern mehr.

Um sich noch weiter in der Welt des Witchers zurecht zu finden, folgt auf den nächsten Seite eine umfassende Beschreibung der Länder in THE WITCHER, wobei diese größtenteils auf das Notwendigste beschränkt bleibt. Wie sonst soll man auch 27 Länder auf ein paar Seiten beschreiben!?! Abgerundet wird dieser Bereich dann noch mit wichtigen Bündnissen und den wichtigsten Religionen, sodass man zumindest einen groben Abriss vom Leben in dieser Welt hat.
In einem umfassenden Rollenspiel-Regelwerk darf natürlich auch nicht fehlen, wie man sich als Spielleiter verhalten soll. Hierbei sei gerade für THE WITCHER noch einmal der wichtige Satz hervorgehoben, dass es sich bei diesem Spiel nicht um epische Fantasy handelt. Die Charaktere, die hier agieren, handeln größtenteils aus Eigeninteresse, entsprechend ist es einerseits leicht, Kampagnen und Einzelabenteuer zu erschaffen, denn als Anreiz reicht in der Regel eine klingende Münze, als Spielleiter bewegt man sich andererseits aber auch ziemlich klar aus seiner Komfortzone heraus, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass die Helden edelmütig handeln werden und dem Ideal aus anderen Rollenspielen folgen, sondern ggf. auch einfach Unrecht geschehen lassen, wenn sie es sehen und befürchten, dass ein Eingreifen ihnen zum Nachteil gereichen könnte…
Ein anderer wichtiger Aspekt ist der Einfluss der Videospiele auf die Welt des Witchers. Hierfür gibt es für den Spielleiter ein kurzes Regelwerk zu Religionen, wichtigen Personen und im Spielverlauf getroffenen Entscheidungen, die für die Gestaltung der Welt, in der das Pen &Paper-Rollenspiel stattfinden soll, von entscheidender Bedeutung sind.

Weil der Beruf des Hexers letztendlich doch komplexer ist, als es die anderen Spielerklassen sind, und weil das Rollenspiel, selbst wenn keiner der Helden die Rolle eines Hexers übernehmen wollen würde, trotzdem davon lebt, dass diese spezielle Art von Menschen existiert, wird noch einmal genauer das Leben, die geschichtlichen Hintergründe und die Lebensweisen eines Hexers beschrieben. Direkt im Anschluss, um das Leben eines Hexers noch „effektiver“ zu machen, gibt es ein Kapitel über Experimente, Runen, Glyphen und dergleichen, also allem, was einen Hexer noch effektiver seine Gegner bezwingen lässt.
Apropos Gegner: Kein Rollenspielsystem ohne Gegner! Unterteilt in 12 Kategorien finden sich im Regelwerk die wichtigsten 20 Monster, auf die man im Spiel treffen kann. Jeweils mit einem doppelseitigen „Steckbrief“ versehen, kann man hier sehr schnell nachschlagen, gegen was die Heldengruppe da gerade antritt und auch, wie kompliziert es werden dürfte, diese Begegnung unversehrt zu überstehen…

…und wer sich dann durch diese ganzen Kapitel gewälzt hat, der bekommt zum Abschluss noch ein Kurzabenteuer mit dem Titel „Allen eine gute Nacht“ vorgesetzt. Auf der Flucht vor der näher rückenden Frontlinie des Krieges kommen die Helden in eine kleine Stadt, in der seit einigen Tagen Kinder verschwinden, und natürlich machen sie sich daran, dies aufzuklären… denn ihre Geldbeutel sind genauso leer wie ihre Mägen!

Die Welt von THE WITCHER ist gleichsam spannend und tödlich! Es ist ein durchweg vielseitiges Rollenspiel, und sofern der Spielleiter sich entsprechend eingelesen und auch halbwegs Rückfragen-sicher ist, hat er sehr viele einfache Möglichkeiten, neue Aufgaben für die Heldengruppe zu ersinnen, denn er muss hier nicht zwingend in einem großen Kontext denken. Natürlich kann sich das Geschehen in eine Kampagne verwandeln, dieser Prozess kann aber durchaus schleichend erfolgen, und die Heldengruppe wird es umgekehrt sehr lange aushalten, auch einfach auf simple „Seek & Destroy“-Missionen geschickt zu werden, solange der Anreiz und die Schwierigkeit gegeben sind und eine durchdachte Vorgehensweise zum Vorteil gereicht. Für Einsteiger in den Bereich Pen & Paper Rollenspiel ist das Regelwerk meines Erachtens nicht geeignet, da einfach zu viele Optionen geliefert werden, auf die man hier aber kaum verzichten kann. Es mag Regelwerke geben, da sind Optionen, wie der Name es schon sagt, optional, hier sind aber eigentlich alle Teile elementar wichtig.